Sakyong Mipham Rinpoche
An dieser Stelle können wir uns der tatsächlichen Form der Praxis zuwenden. Zunächst ist es wichtig, wie wir uns zu dem Raum, in dem wir praktizieren, und zu dem Kissen, auf dem wir praktizieren, verhalten. Dort wo man sitzt, sollte das Zentrum der Welt für einen sein, das Zentrum des Universums. Es ist der Platz, an dem wir unsere geistige Gesundheit zum Ausdruck bringen, und wenn wir uns hinsetzen, sollte das Kissen unser Thron sein.
Wenn wir sitzen, geschieht dies mit einer Art von Stolz und Würde. Unsere Beine sind gekreuzt, die Schultern entspannt. Wir haben ein Gefühl für das, was oberhalb von uns ist, ein Gefühl, dass uns etwas hochzieht. Gleichzeitig fühlen wir den Boden, auf dem wir sitzen. Die Arme sollten bequem auf den Oberschenkeln ruhen. Wer nicht auf einem Kissen sitzen kann, setzt sich auf den Stuhl. Hauptsache man sitzt irgendwie entspannt.
Das Kinn ist ein wenig eingezogen, der Blick weich nach unten gerichtet, ungefähr 1,5 Meter vor uns auf den Boden, der Mund sollte leicht geöffnet sein. Grundsätzlich fühlen wir uns entspannt, würdevoll und zuversichtlich. Wenn du dich bewegen musst, bewegst du dich, veränderst du einfach deine Haltung ein klein wenig. Auf diese Weise gehen wir mit unserem Körper um.
Als nächstes – und dies ist eigentlich der einfachste Teil – gehen wir mit unserem Geist um. Die grundlegende Technik besteht darin, dass wir unseren Atem bemerken, dass wir allmählich ein Gefühl für unseren Atem entwickeln. Der Atem dient uns als Grundlage für die Achtsamkeitstechnik; er bringt uns in den Moment zurück, in die gegenwärtige Situation. Der Atem ist etwas Beständiges – andernfalls wäre es bereits zu spät! Wir legen etwas mehr Nachdruck auf das Ausatmen. Wir betonen den Atem nicht, wir verändern ihn nicht, wir bemerken ihn einfach. Wir bemerken, dass unser Atem hinausgeht und wenn wir einatmen, gibt es eine flüchtige Lücke, eine Pause.
Wir lernen unsere Aufmerksamkeit auf den Atem zu richten und gleichzeitig lassen wir Raum in der Technik zu. Obwohl das, was wir tun, eigentlich recht einfach ist, bemerken wir dann, dass unglaublich viele Ideen, Gedanken und Konzepte über das Leben und über die Praxis selbst durch unseren Kopf schwirren. Und mit all diesen Gedanken gehen wir so um, dass wir sie einfach als das benennen, was sie sind, Gedanken. Wir stellen einfach fest, dass wir denken und kehren dann zum Atem zurück.
Wenn wir uns also gerade fragen, was wir mit dem Rest unseres Lebens anfangen sollen, dann nennen wir das einfach „denken“. Wenn wir uns fragen, was es wohl zum Mittagessen geben wird, nennen wir das einfach „denken“. Alles was auftaucht, nehmen wir freundlich wahr und lassen es dann wieder los. Es gibt bei dieser Technik keine Ausnahmen, es gibt weder gute Gedanken, noch gibt es schlechte Gedanken. Wenn du gerade denkst, wie wundervoll Meditation doch ist, dann ist das immer noch „denken“. Wie phantastisch der Buddha war, immer noch „denken“. Ganz unabhängig davon, in welches Extrem du dich hineinbegibst, es ist einfach nur „denken“ und du kehrst zum Atem zurück.
In Anbetracht dieser vielen Gedanken ist es schwierig, im Moment zu bleiben und sich nicht ablenken zu lassen. In unserem Leben hat sich ein ganzer Schwall von Unwettern, Umständen und Emotionen aufgestaut, dieser versucht immer wieder, uns aus der Bahn zu werfen und uns unsere Beständigkeit zu rauben. Alle möglichen Dinge tauchen auf, aber sie werden als Gedanken etikettiert und dadurch werden wir nicht abgelenkt oder davongetragen. Das nennt man auch: im Sattel bleiben oder den Sitz halten, man lernt einfach, mit sich selbst umzugehen.
Diese Vorstellung, dass wir unseren Sitz einnehmen, können wir auch aufrechterhalten, wenn wir den Meditationsraum verlassen und unseren täglichen Beschäftigungen nachgehen. Wir erhalten ein Gefühl für Würde und Humor aufrecht und pflegen im Umgang mit den alltäglichen Dingen die gleiche Leichtigkeit, wie wir sie auch in der Meditation mit unseren Gedanken kultivieren. Im Sattel zu bleiben bedeutet nicht, dass wir steif sind und versuchen Felsen zu werden; es geht vielmehr darum, beweglich zu werden. Und so wie wir mit uns selbst und unseren Gedanken umgehen, so gehen wir auch mit der Welt um.
Das erste, was uns auffällt, wenn wir anfangen zu meditieren, ist wie wild die ganze Angelegenheit eigentlich ist – wie wild unser Geist und unser Leben sind. Aber wenn wir einen Geschmack von der Qualität des Zähmens bekommen, können wir mit uns sitzen bleiben und einen ungeheuren Reichtum an Möglichkeiten entdecken. Meditation bedeutet, dass wir sozusagen vor unserer eigenen Türe kehren, dass wir nachschauen, was wirklich zu unserer Verfügung steht und dadurch den Reichtum entdecken, der ohnehin schon existiert. Diesen Reichtum entdecken wir in einem fortlaufenden Prozess, von Moment zu Moment und wenn wir kontinuierlich mit unserer Praxis fortfahren, wird unser Gewahrsein schärfer und schärfer.
Im Grunde umhüllt die Achtsamkeit unser ganzes Leben. Dies ist die beste Methode, um unser Leben und die Heiligkeit aller Dinge wertzuschätzen. Wir bringen Achtsamkeit in eine Situation hinein und plötzlich wird sie lebendig. Diese Praxis durchdringt unser gesamtes Tun, sie lässt nichts aus. Achtsamkeit dringt durch Klang und Raum. Achtsamkeit ist eine hundertprozentige, umfassende Erfahrung.